Coworking auf dem Land: Wo Gemeinschaft auch kein Selbstläufer ist
‘So ein Trampolin würde ich mir auf keinen Fall in den Garten stellen’, hat mein Mann gesagt.
Als wir 2019 von Berlin zurück nach Meck Pomm zogen, war das blau-schwarze Ungetüm aufgebaut, noch bevor wir die ersten Möbel an Ort und Stelle hatten. Klo, Bett, Trampolin – die Prioritäten waren klar gesetzt. Kürzlich stand ich dann im Garten und sah plötzlich vier Trampoline. Eines bei den Nachbarn links, eines bei den Nachbarn rechts, eines bei den Nachbarn gegenüber und unseres. Ich ging zu meinem Mann und sagte einen Satz, der mit „Also früher hätte…“ begann. Auch eines dieser Dinge, die man nie machen wollte. „Also früher hätte es ein einziges Trampolin in der Nachbarschaft gegeben und alle Kinder hätten sich dort getroffen. Heute hat jedes Kind sein eigenes und jeder hüpft allein vor sich hin. Ist doch blöd.“
Der „Trampolineffekt“ zeigt sich auch an anderen Stellen. An hohen Hecken und noch höheren Grundstücks-Zäunen oder an Schildern mit der Aufschrift „Privatweg“, die an Seen stehen, in denen wir früher alle gemeinsam gebadet haben. Als wir noch in Berlin wohnten, bildete sich zur Kita-Abholzeit stets verlässlich eine Traube von Eltern und Kindern vor dem Kita-Tor und man landete immer zusammen auf dem nächstgelegenen Spielplatz oder in der Kiez-Eisdiele. Hier, in meinem alten und neuen Heimatort, tendieren viele dazu, auf kürzestem Wege ins Auto zu springen und mit quietschenden Reifen davonzufahren. Aufs eigene Grün hinter der Hecke, wenn man kann. Selbst im Neubaugebiet ist es nicht anders. Als Plattenbaukind habe ich in meiner Kindheit und Jugend selten einen leeren Spielplatz erlebt. Irgendwas ging immer „am Giebel“ oder zwischen den Wäscheleinen. Irgendeiner war immer da, meist eine ganze Horde an Kindern (ohne Eltern übrigens). Heute ist der perfekt von Wohnblöcken gerahmte (und damit unschlagbar kindersichere) Spielplatz auch bei schönstem Sonnenschein verwaist. Schon Fünfjährige hocken in ihren Silos.
Was tun?
Wenn Trampoline und Giebel allein nicht mehr taugen, um sich zu begegnen, brauchen wir neue Orte, an denen wir zusammenkommen. Wenn Begegnung kein Selbstläufer mehr ist, muss sie wieder stärker initiiert werden. Wenn zu Hause ein neuer Zaun gebaut wird, werden Orte, an denen die Tür offen steht, umso wichtiger. „Raus aus den Silos“ – das gilt nicht nur für Unternehmen und ihre Mitarbeitenden, um kreativ zu werden. Es entfaltet Bedeutung für jede und jeden Einzelne:n in einer Zeit, in der die Kommunikation rauer wird und die Fronten zwischen Meinungen und Weltanschauungen härter. Jan Gehl, einer der einflussreichsten Stadtplaner der Welt, sagte mal in einem Interview: „Erst formen wir unsere Städte, dann formen sie uns.“ Wenn wir also eine Gesellschaft wollen, in der die Menschen wieder miteinander sein können und wollen, dann brauchen wir Orte, die genau das fördern. Orte mit einem „Co“ davor in jedem Stadtkern.
Communities, wie sie an diesen Neuen Orten der Begegnung entstehen, definieren sich im Idealfall nicht über die gleiche Meinung, die gleiche Arbeit oder den gleichen Status, sondern in erster Linie über geteilte Werte und den Wunsch nach Gemeinschaft. Das „Co“ in „Coworking“ steht für das Gemeinsame wie das Unterschiedliche gleichermaßen: Wir arbeiten unter einem Dach, aber an ganz unterschiedlichen Themen und Projekten. Wir nutzen das gleiche WLAN, trinken den gleichen Kaffee, haben die gleichen Menschen um uns herum, aber verfolgen mit dem, was wir tun, mitunter ganz unterschiedliche Ziele. Es ist genau diese Mischung aus räumlicher Gleichzeitigkeit und inhaltlicher Unterschiedlichkeit, aus geteilten Werten und ganz unterschiedlichen Motivationen und Ambitionen, die Co-Konzepte so spannend machen, ob Co-Working, Co-Living oder Co-Housing. Es geht bei ihnen nie nur ums Arbeiten, nie nur ums Wohnen, nie nur ums Übernachten auf Zeit. Es ist der Wunsch nach Gemeinschaft, der die Menschen anzieht. Dieses Gemeinschaftsgefühl zu schaffen ist auch im Coworking Space kein Selbstläufer. Community Building und Community Management sind eigene Aufgabenbereiche, die Zeit, Kreativität und Netzwerkarbeit erfordern. Eine lebendige Community entwickelt dann bestenfalls eine Strahlkraft, die wieder neue Menschen anzieht.
Co-Konzepte haben sich in „anonymen“ Großstädten bewährt. Und ich bin überzeugt, dass sie auch im ländlichen Raum ihre Wirkung entfalten können, wenn sie wirklich gewollt sind. Und das nicht nur für „junge Digitalarbeiter:innen“, sondern für Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Talenten und unterschiedlichen Alters. Das „Co“ darf Einzug halten in das, was schon da ist, bringt aber auch Offenheit mit für das Neue und Andere. Und vor allem: die Neuen und Anderen. „Unsere Studien zeigen, dass Menschen dorthin gehen, wo andere Menschen sind. Das ist banal, aber entscheidend für das Funktionieren einer Stadt“, sagt Jan Gehl.
Kindern muss man all das nicht erklären. Kinder haben das „Co“ in ihrer DNA. Aber auch sie brauchen neue Orte, an denen sie sich in Gemeinschaft entfalten können. Neue Orte, an denen sich Gemeinschaft nicht über Status und Leistung definiert, sondern über die Lust, gemeinsam etwas zu gestalten und Dinge miteinander zu teilen. Orte, an denen sie Erwachsene finden, die das Co auch in sich tragen und sie begleiten. Ländliche Co-Konzepte, wie ich sie mir wünsche, sind mehrgenerational und maximal offen und zugänglich. Dann haben sie das Potential, die Erfahrungswelt möglichst vieler Menschen zu erweitern. Bestenfalls zieht wieder mehr Neugier und Offenheit ein, auch außerhalb der „Co-Orte“ selbst.
Wir haben jedenfalls noch viel Platz auf dem Trampolin im Garten.