Gastbeitrag: So sollte die Zukunft des Coworking aussehen
Originaltext von Ben Marks, übersetzt aus dem Englischen von Katja
Stellen Sie sich vor: ein modern ausgestatteter Gemeinschaftsarbeitsplatz, der von zu Hause aus zu Fuß erreichbar ist. Ein Raum, den man nicht deshalb mit anderen teilt, weil man beim selben Unternehmen angestellt ist, sondern weil man sich nahe ist. Eine professionelle Atmosphäre, aber keine Büropolitik. Verbindung, Wohlbefinden und berufliche Entwicklung werden durch Yoga-Kurse, Mentoring-Programme und Abendveranstaltungen gefördert, und eine Kindertagesstätte vor Ort unterstützt Eltern mit kleinen Kindern. Der Raum ist ein zentraler Punkt im lokalen Leben, der Beziehungen wiederbelebt und Unternehmen voranbringt. Ihre Gemeinschaft wird neu geboren.
Das ist Coworking 2.0.
Damit die Revolution der mobilen Arbeit gedeihen kann, brauchen wir eine praktikable Alternative zum Büro – eine, die eine solide Barriere zwischen Leben und Arbeit, wertvolle soziale Beziehungen und berufliche Vorteile bietet, ohne die Mitarbeitenden zu zwingen, ihre Flexibilität und Autonomie zu opfern, die sie im Homeoffice gefunden haben. Wenn wir das Potenzial dieser nächsten Generation von Coworking Spaces erkennen, können wir das Beste aus beiden Welten haben.
Die Regeln neu schreiben
Rund drei Millionen Menschen nutzen heute Coworking Spaces, ein Bruchteil der 3,45 Milliarden Erwerbstätigen weltweit. Aus diesem Grund hat sich die Debatte um Remote-Arbeit seit dem Beginn der Pandemie auf den Gegensatz zwischen Homeoffice und Büro konzentriert. Alternativen zum Büro, bei denen es sich nicht um isolierte, abgeschottete Heimarbeit handelt, haben nur wenig Aufmerksamkeit erregt.
Wenn wir den letzten beiden Jahren etwas Positives abgewinnen können, dann ist es die Tatsache, dass sie die Unternehmen zum Austesten gezwungen haben. Zum ersten Mal seit Generationen werden unsere grundlegenden Vorstellungen darüber, wo, wie und warum wir arbeiten, in Frage gestellt. Zweihundert Jahre nach der Errichtung der ersten Bürogebäude – als die Postkutsche noch das beliebteste Verkehrsmittel war – muss es doch einen besseren Weg geben.
Und den gibt es auch. Vor der Pandemie hätten sich die meisten Menschen keine Welt vorstellen können, in der Coworking zum Mainstream gehört, geschweige denn als öffentliches Gut behandelt wird. Aber jetzt, da die Pandemie die kulturellen Barrieren beseitigt hat, die viele Menschen daran hinderten, aus der Ferne zu arbeiten, eröffnen sich neue und aufregende Möglichkeiten.
Gemeinschaftliche Arbeitsräume
Vielleicht liegt das Problem in dem Begriff „Coworking“, der Bilder von Tech-Bros und katastrophalen Börsengängen hervorruft. Doch während das Konzept in der Startup-Szene entstanden ist, haben sich die Anwendungen lokaler, gemeinsam genutzter Arbeitszentren weit über deren Grenzen hinaus verbreitet. Die Digitalisierung der Arbeitswelt nimmt rasant zu, so dass für eine Vielzahl von Arbeitnehmenden die Möglichkeit besteht, auch außerhalb des eigenen Hauses zu arbeiten.
Da wir in die nächste Entwicklungsphase der Coworking-Branche eintreten, glaube ich, dass der Begriff „Community Workspace“ das breitere Spektrum an Anwendungen und Vorteilen besser erfasst.
Wie sähe die Arbeitswelt aus, wenn jeder Zugang zu diesen voll ausgestatteten Community Spaces hätte? Anstatt unser Leben danach auszurichten, wo sich das Büro unseres Arbeitgebers befindet, und dafür einen nervenaufreibenden Arbeitsweg in Kauf zu nehmen, könnten wir im Kreise unserer Familien, Freunde und Nachbarn arbeiten, die alle nur einen Spaziergang von zu Hause entfernt sind. Was würde dies für unsere Beziehungen, unsere geistige Gesundheit und die lokale Wirtschaft bedeuten?
Wir brauchen keine abstrakten Vermutungen, um eine Antwort zu finden. Es gibt Hinweise darauf, dass eine radikale Umstrukturierung des Arbeitsortes und der Arbeitsweise dazu beitragen könnte, die Einsamkeit zu bekämpfen (indem ein Raum geschaffen wird, in dem wir uns treffen und mit unserer Gemeinschaft in Kontakt treten können), unsere Lebenshaltungskosten zu senken (durch die Verringerung der Pendler- und Energiekosten), die Burnout-Epidemie zu bekämpfen (indem eine Work-Life-Barriere geschaffen wird), die berufliche Vernetzung zu verbessern (durch neue Kontakte und Mentoring-Möglichkeiten) und sogar zur Wiederbelebung von Regionen beizutragen (indem die Kaufkraft auf ein größeres geografisches Gebiet verteilt wird).
Globale Beispiele
Wenn Sie denken, dass dies wie eine utopische Vision eines langhaarigen, mit Armbändern wedelnden digitalen Nomaden klingt, haben Sie nur zur Hälfte Recht; mein Vorschlag ist alles andere als unrealistisch.
Auf Madeira, Portugal, hat sich der Unternehmer Gonçalo Hall mit den örtlichen Behörden zusammengetan, um das erste „Digitale-Nomaden-Dorf“ der Welt zu gründen. Ponta do Sol wurde als Zufluchtsort für Fernarbeitende geschaffen, die dort zusammen leben und arbeiten können, und lockt jedes Jahr Tausende von Besuchern, die bisher einen direkten Beitrag von mehr als 30 Millionen Euro zur lokalen Wirtschaft geleistet haben.
(Anmerkung Katja: Zu Ponta do Sol gibt es durchaus auch kritische Stimmen. Ein lesenswerter Beitrag dazu findet sich auf wired.com.)
Ursprünglich ein dynamisches Tourismusprogramm, zieht das Projekt Talente und Innovationen an. „Der Coworking Space ist das Zentrum der Gemeinschaft und des gesamten Konzepts des Nomadendorfs, in dem die Menschen arbeiten, Kontakte knüpfen, Veranstaltungen durchführen und ihr Wissen teilen“, erklärt Gonçalo.
Ponta do Sol ist nicht das einzige Coworking-Projekt, das zeigt, dass Coworking 2.0 der natürliche nächste Schritt in Richtung einer gesünderen, nachhaltigeren und integrativen Zukunft der Arbeit ist.
Auf der anderen Seite des großen Teichs, in Tulsa, Oklahoma, verändert Tulsa Remote die lokale Wirtschaft, indem es Tausende von digitalen Arbeitskräften anzieht, die sich in der trendigen Stadt am Fluss niederlassen. Das Herzstück des Programms ist 36 Degrees North, ein 70.000 Quadratmeter großer Coworking-Palast, der einen hochwertigen Arbeitsbereich, nützliche Ressourcen und eine vielfältige Gemeinschaft bietet. Dies hat zu einem Umsatz von 572,5 Millionen Dollar und Tausenden von Arbeitsplätzen in der lokalen Gemeinschaft geführt.
Im ländlichen Deutschland reagiert Frederik Fischer mit Neulandia auf die zunehmende ortsunabhängige Arbeit und den weit verbreiteten Wunsch nach einer besseren Lebensqualität. Er möchte „eine von Bürgern geführte Bewegung in Gang setzen, die über Jahre hinweg anhält“ und „eine Kultur der Zusammenarbeit, der Beteiligung und des Teilens schaffen, die wir so dringend brauchen, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu meistern.“
Neulandia erreicht dies, indem es Remote Worker mit zukunftsorientierten ländlichen Gemeinden zusammenbringt und sie in „KoDörfern“ unterbringt, d. h. in nachhaltig gebauten Wohnanlagen, die bestehende Infrastruktur in Coworking-Bereiche umwandeln. In den vergangenen fünf Jahren haben die Teilnehmenden an diesen Gemeinschaften dazu beigetragen, Städte im ganzen Land zu erneuern.
Abgesehen von ihrem gemeinsamen Fokus auf den Aufbau wertvoller Gemeinschaften haben alle diese Initiativen die Unterstützung lokaler Regierungsvertreter gemeinsam, die erkannt haben, dass gemeinschaftliche Arbeitsbereiche positive Auswirkungen auf lokaler Ebene haben können.
Diese Unterstützung muss sich auf den höchsten Ebenen der EU und der nationalen Regierungen wiederfinden, wenn alle von der transformativen Kraft des Coworking 2.0 profitieren sollen.
Vorreiter des Trends ist die irische Regierung, die eine Plattform namens ConnectedHubs eingerichtet hat, um den Prozess der Vermittlung von Arbeitsplätzen und Büros in Coworking Spaces zu vereinfachen und zu rationalisieren. Diese Initiative bietet Coworking-Anbietern die Möglichkeit, sich unter einer gemeinsamen Identität zusammenzuschließen und eine starke Peer-to-Peer-Community aufzubauen, die Wissen und bewährte Verfahren austauscht.
(Anmerkung Katja: Ein Peer-to-Peer-Netzwerk und eine Plattform für Coworking Spaces in ländlichen Räumen bietet auch die bundesweit agierende CoWorkLand-Genossenschaft. :))
Innerhalb von 18 Monaten nach dem Start wurden fast 300 Hubs in die Initiative aufgenommen – eine Geschwindigkeit, die für staatliche Verhältnisse fast unerreicht ist. George Bullman, ein Anbieter von Coworking-Spaces und Mitglied des ConnectedHubs-Netzwerks, sagt: „Die Initiative hat viele ländliche und städtische Gemeinden miteinander verbunden und ein gemeinsames Umfeld geschaffen, in dem Unterstützung und Hilfe jederzeit verfügbar sind.“
Ein Raum für alle
Auch wenn die Vorteile von Remote Work weithin anerkannt sind, sei nochmals darauf hingewiesen, dass Remote Work nicht nur die bevorzugte, sondern auch die einzige Option ist.
Für einige Geflüchtete ist Fernarbeit die einzige Möglichkeit, ein legales Einkommen zu erzielen. Für Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ist ein Bürojob von neun bis fünf Uhr nicht immer möglich. Das Gleiche gilt für Eltern, die sich keine Kinderbetreuung leisten können, und für Pflegende, wie eine enge Freundin von mir, die zwei Jahre lang ihre todkranke Mutter pflegte.
Laut einem Bericht von Virgin Media O2 Business und dem Centre for Economics and Business Research (CEBR) könnte hybrides Arbeiten allein im Vereinigten Königreich fast vier Millionen Menschen zurückbringen, die zuvor aus dem Erwerbsleben ausgeschlossen waren (darunter 1,5 Millionen Menschen mit Behinderungen, 1,2 Millionen Eltern und 500.000 Pflegekräfte).
Aus diesem Grund sollten Community Workspaces als öffentliches Gut betrachtet werden. Die Realität sieht so aus, dass das traditionelle Büromodell zutiefst ausgrenzend ist, während Remote Work grundsätzlich integrativ ist, und Community Workspaces – durch die Verbesserung der Remote Work-Erfahrung – die damit verbundenen Vorteile verstärken. Damit dies jedoch funktioniert, müssen diese Räume geografisch und finanziell für alle zugänglich sein, da sonst nur eine kleine, relativ privilegierte Gruppe von den Vorteilen profitiert und die bereits bestehenden Ungleichheiten noch verstärkt werden.
Die nächste Generation von Community Workspaces kann mit Top-down-Unterstützung der Regierungen der gesamten technologiegestützten Arbeitnehmerschaft und der Gesellschaft insgesamt zugute kommen. Natürlich wird es nie eine Einheitslösung geben, die für alle passt. Niemand schlägt vor, dass Coworking die Arbeit zu Hause oder im Büro vollständig ersetzen soll. Letztendlich sollte es unser Ziel sein, allen Arbeitnehmenden die Möglichkeit zu geben, dort zu arbeiten, wo und wie sie am besten arbeiten.
Jetzt gibt es zum ersten Mal keine technischen Hindernisse mehr, die dem im Wege stehen. Was haben wir also zu verlieren?
Titelbild: TATERKA – Wir bauen Zukunft