Arbeitsschutz: Führungskultur first, Bürostuhl second.
Ich freue mich sehr, bei der „Politikwerkstatt Mobile Arbeit“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) dabei zu sein. Ein halbes Jahr lang beschäftigen sich hier Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Forschung mit der Frage, wie mobile Arbeit zukünftig gestaltet werden kann und welche politischen Regelungen dafür sinnvoll und nötig sind. Im ersten Modul „Raum und Fläche“ haben wir diskutiert, welche Rolle dem Firmenbüro zukünftig zukommt, wie sich die zunehmende Flexibilisierung von Arbeitsumfeldern auf den Arbeitsschutz auswirkt und wie dieser für mobil arbeitende Menschen sinnvoll gestaltet werden kann.
Bedürfnisse statt Lux messen
Ich denke, Arbeitsschutz im Kontext von Büroarbeit muss neu gedacht werden. Starre Messgrößen, wie die Fläche pro Arbeitsplatz oder die Helligkeit am Tisch, sind nicht mehr zielführend. Denn die Bedürfnisse im Hinblick auf eine gute Arbeitsumgebung, in der Menschen produktiv arbeiten können, sind vielfältig. Mitunter variieren sie innerhalb eines Tages. Wir sehen das bei uns im Coworking Space: Einige Coworker*innen machen schon beim Betreten der Räume die Deckenbeleuchtung an, andere bevorzugen Bereiche, an denen das Licht gedimmt ist. Einige wechseln während des Tages immer mal wieder von der ruhigen Arbeitsumgebung mit Bürostuhl und Tisch auf das Sofa im Café-Bereich, wo um sie herum die Barista-Maschine rödelt und Menschen plaudern. Statt starrer Regeln brauchen Unternehmen Anreize, um in jeglicher Hinsicht beweglich zu werden. Sie müssen lernen, mit Mitarbeitenden ins Gespräch zu gehen, Arbeitsbedürfnisse zu erfassen und darauf basierend flexibel anpassbare Arbeitsumfelder zu gestalten. Wenn sie das tun, ist es auch nicht mehr entscheidend, ob zehn oder 13 Tische für Desk Sharing im Firmenbüro vorgehalten werden. Mit flexibel anpassbaren Raumkonzepten, guter Kommunikation und smarten Tools lassen sich Anwesenheiten* im Firmenbüro planen und organisieren.
(*meine Rechtschreibkorrektur schlägt mir interessanterweise immer noch vor, “Abwesenheiten” zu planen statt „Anwesenheiten“.)
Wie kann man das rechtlich verankern? Vielleicht mit einem Recht der Mitarbeitenden, in Bezug auf ihre Bedürfnisse gehört zu werden? Wie auch immer man das dann nennt – Work Needs Assessment?
Generell plädiere ich dafür, dass Arbeitgebende plausibel begründen müssen, wenn mobile Arbeit NICHT möglich ist. Denn viele Vorgesetzte machen es sich zu einfach, indem sie pauschal ins Büro zurückrufen. Ich halte die Regelung in den Niederlanden für sinnvoll, wo es quasi ein Recht auf Homeoffice gibt.
Ein ganzheitlicher Blick darauf, wie Menschen arbeiten (wollen)
Am Ende des Tages müssen wir endlich wegkommen von den Denkmustern einer industriell geprägten Arbeitswelt, die es so nicht mehr gibt. In der aktuellen Debatte geht es nicht nur um mobile Arbeit, sondern letztendlich um eine Neubetrachtung des Arbeitsbegriffs. Die Frage, welche Rolle Erwerbsarbeit im Jahr 2022 spielt, sollten Unternehmen nicht allein den Philosoph*innen überlassen. Auch sie müssen sich überlegen, wie sich die Aufgaben, die sie Menschen übertragen, mit deren Wünschen und Verantwortlichkeiten abseits des Arbeitsplatzes gut vereinbaren lassen. Sie müssen reflektieren, wie sich Tätigkeiten und Arbeitsweisen verändern, neue Arbeitsorte als gleichwertig neben dem Firmenbüro anerkennen und ihre Führungskultur auf neue, asynchrone und hybride Arbeitsweisen anpassen. Ich kann nur unterstreichen, was meine Mit-Referentin in der Politikwerkstatt, Lena M. Stork, Government Relations Manager bei Zoom, formuliert hat: Am Ende werden die Menschen mit den Füßen abstimmen, wenn Unternehmen die Hürden für mobile Arbeit zu hoch ansetzen. Dann arbeiten die besten Köpfe eben für niederländische, französische oder australische Firmen, die längst ganz selbstverständlich Fachkräfte aus dem Ausland anwerben und entsprechende Strukturen für Remote Work gebaut haben.
Wem das als Argument nicht ausreicht, dem seien die Ausführungen des Soziologen Stefan Schulz ans Herz gelegt. Dieser formuliert, dass unserer Volkswirtschaft aktuell 15 Prozent ihrer Energie-Grundlage fehlen, mit den bekannten Folgen. Das sei aber nur ein Vorgeschmack. Denn in den kommenden 13 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, werden der Volkswirtschaft 20 Prozent des Erwerbspersonenpotenzials verloren gehen. 18 Millionen Menschen verlassen den Arbeitsmarkt, aber es kommen nur 11 Millionen nach. Jede*r fünfte Arbeitnehmer*in ist dann weg. Unternehmen beschäftigen sich daher besser heute als morgen mit der Frage, wie sie Menschen für sich begeistern und dauerhaft halten können. Mit Präsenzpflicht und Luxmeter sicher nicht. Wohl aber mit einem flexiblen „Baukastensystem“ an Möglichkeiten.
Arbeitsschutz in Coworking Spaces
Coworking Spaces sind ein wesentlicher Teil dieses Baukastens. Als sogenannte “Dritte Orte” neben Homeoffice und Firmenbüro ermöglichen sie wohnortnahes Arbeiten auch für angestellt tätige Menschen. Dies setzt voraus, dass es flächendeckend Coworking Spaces gibt, und zwar auch in ländlich geprägten Regionen. Damit sich der Betrieb eines Coworking Spaces für die Gründer*innen lohnt, sind Unternehmenskunden essentiell. Gleichzeitig lassen sich allzu starre Anforderungen an den Arbeitsschutz in Coworking Spaces nur schwer umsetzen. Aber – und das ist der große Vorteil im Gegensatz zum Homeoffice – sie sind für bestimmte nachprüfbare Regelungen durchaus zugänglich. Allerdings muss bei der Ausgestaltung dieser Regeln gelten: weniger fixe Zahlen und bürokratische Vorgaben, mehr lebensnahe und anwendbare Standards, die Coworking-Orte einerseits attraktiv für Unternehmenskooperationen machen und gleichzeitig einen wirtschaftlich sinnvollen Betrieb ermöglichen.